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G8 2001: 50 Jahre Haft im Cosenza-Verfahren?
don't forget - 11.03.2008 13:37

G8 2001: 50 Jahre Haft im Cosenza-Verfahren?



* Urteile am 24. April wegen “Politischer Verschwörung mit 20.000
Mitgliedern”
* Ähnlichkeiten mit Ermittlungen nach §129a beim G8 2007 in Deutschland

Derzeit werden noch 4 Verfahren rund um den G8-Gipfel 2001 in Genua vor
italienischen Gerichten verhandelt. Eines davon ist das sogenannte
“Cosenza-Verfahren” gegen 13 italienische AktivistInnen. Vorausgegangen
waren 18 Monate Ermittlungen, die 2002 in Hausdurchsuchungen und Festnahmen
endeten.

Gegen 42 Beschuldigte wurden zunächst Untersuchungsverfahren
eingeleitet, 13 von ihnen letztlich nach Anti-Terror-Paragraphen wie dem 270 und 289
angeklagt: “Politische Verschwörung vermittels einer Organisation, mit dem Ziel
die Amtsausübung der Regierung zu stören, subversive Propaganda zu
betreiben, die wirtschaftliche Ordnung des Staates gewaltsam umzustürzen”. Ihre
“politische Verschwörung” soll 20.000 Mitglieder gehabt haben.

Die Beweislage ist äußerst dünn (einziger konkreter Vorwurf: die
Polizei mit Gemüse beworfen zu haben), es handelt sich um ein Gesinnungsverfahren
(“psychische Beteiligung”). Mit dem Verfahren wird versucht, den
Angeklagten die Organisierung des “Black Bloc” zu unterstellen, sie sollen gar mit
Strukturen der Roten Brigaden vernetzt sein.Staatsanwalt Fiordalisi
fordert insgesamt 50 Jahre Haft. Ein Urteilsspruch wird nun für den 24. April
2008 erwartet.

Das italienische Cosenza-Verfahren hat einige Ähnlichkeiten mit den
deutschen Ermittlungsverfahren nach §129a, die am 9. Mai 2007 für einiges
Spektakel und einer breiten Solidarisierung führten. Die Paragraphen 270-272 des
italienischen Strafgesetzbuches sind im Faschismus eingerichtet worden
(“Rocco-Strafgesetzbuch”). Allein das Planen oder sogar Befürworten
einer “umstürzlerischen” Vereinigung wird damit bestraft. 3 Monate nach dem
11. September 2001 wurde der Paragraph weiter verschärft.

Die Hausdurchsuchungen und Festnahmen fanden am 15. November 2002, kurz
vor dem Europäischen Sozialforum in Florenz in den süditalienischen Städten
Salerno, Cosenza und Taranto statt, etwa 16 Monate nach dem G8 in Genua. 20
AktivistInnen wurden unter Hausarrest gestellt, 13 in Hochsicherheitsgefängnisse gebracht.

Ermittelt wurde seit dem “Global Forum” gegen einen OECD-Gipfel in
Neapel, wo das Netzwerk Sud Ribelle schon umfangreiche Gegenproteste organisiert
hatte. Bei dem Treffen von Großkonzernen und Regierungen ging es um
elektronische Medien und E-Government.Der Widerstand in Neapel galt DemonstrantInnen
und Polizei als Testlauf für den G8 4 Monate später. 250.000 Mails von
Betroffenen wurden per Telekommunikationsüberwachung ausgewertet, von denen 60.000
Eingang in das Verfahren fanden. Die “Abteilung für Sonderoperationen” (R.O.S.)
der Carabinieri überwachte die AktivistInnen mit monatelangen
Observationen, Peilsendern und Wanzen. Webseiten wurden ausgewertet und Texte versucht
Personen zuzuordnen.

Unter den 13 AktivistInnen sind auch die damaligen Repräsentanten der
Disobbedienti, Luca Casarini und Francesco Caruso. Casarini wurde erst
später in das Verfahren integriert. Insgesamt sind AktivistInnen aus Nord- und
Süditalien betroffen, vorwiegend aus dem Spektrum der Disobbedienti und
dem Netzwerk Sud Ribelle. Die Razzien richteten sich gegen bekannte Figuren
aus der Anti-G8-Bewegung, dementsprechend groß war die Solidaritätsbewegung in
ganz Italien mit Sit-ins vor Gefängnissen und zahlreichen Demonstrationen.
Das hinderte die Polizei nicht daran, wenige Tage erneut Hausdurchsuchungen
und Festnahmen durchzuführen, die in Verfahren gegen weitere 25
AktivistInnen endeten. In jenen Verfahren wurden im November teilweise hohe
Haftstrafen verhängt.

Die Repression wurde zu einem Zeitpunkt ausgeführt, als die
außerparlamentarische Linke sich mit Themen wie Prekarisierung und
Migration, Mayday-Parade und Supermarkt-Aktionen im Aufwind befand (dazu streikten
wochenlang Fiat-ArbeiterInnen, Betriebe wurden besetzt, Autobahnen und
Bahnhöfe blockiert, Massendemonstrationen organisiert). Die meisten der
Angeklagten waren tatsächlich sehr aktiv in Soziale Kämpfe eingebunden. Zunächst waren
auch Basisgewerkschafter und MedienaktivistInnen aus dem nahe gelegenen
Taranto mitangeklagt. Zwei der verbliebenen Angeklagten deckten
Schmiergeldzahlungen an Polizisten auf, andere ökologische Schwerverbrechen. Das Netzwerk des
Sud Ribelle organisierte Aktionen und Besetzungen bei Zeitarbeitagenturen
und McDonalds Filialen. Drei der Beschuldigten mußten sich nach den Razzien
für ein Jahr täglich bei der Polizei melden und waren damit politisch teilweise
aus dem Verkehr gezogen.

Mit den Razzien wollte die Polizei unter der Berlusconi-Regierung
versuchen, der Kritik der liberalen Öffentlichkeit nach dem brutalen Polizeieinsatz in
Genua etwas entgegenzusetzen. Diese Offensive ging mit einer massiven Hetze
in der bürgerlichen Presse einher, in der nicht-öffentliche
Gesprächsmitschnitte der Abgehörten einem TV-Sender übergeben wurden. Als Zeugen der Anklage
sagten u.a. jene Polizeiführer aus, die sich in Genua derzeit noch wegen
Mißhandlungen in der Diaz-Schule und der Kaserne Bolzaneto verantworten (z.B. Spartaco
Mortola).

Die Carabinieri fanden angesichts der dünnen Beweislage zunächst kein
Gericht in Italien, welches das Verfahren zur Verhandlung annehmen wollte. Erst im
vierten Versuch erklärte sich das Gericht in Cosenza bereit.

Es handelt sich nicht um ein Indizien-Verfahren. Sichergestellt wurden
damals neben den Festplatten lediglich einige “Pasamontanas”, also Kapuzen zur
Vermummung. Vielmehr war von Anfang an durchsichtig, dass ein
Gesinnungsverfahren geführt werden sollte. Einzige beweisbare
“Gewalttat” war das Bewerfen einer Polizeisperre bei den Demonstrationen in Neapel mit
Artischocken. Gerichtsrelevatnt wurden indes Abhörmitschnitte, in denen
die Beschuldigten Sympathie mit militanten Protesten ausdrückten, sowie
Videobilder die sie in der Nähe von Riots zeigen. Eingebracht wurde z.B. ein
Telefonat, in dem ein Angeklagter vorschlug dass man in Genua “etwas wirklich
Ungehorsames” organisieren solle. Überwacht und vor Gericht verwertet wurde auch ein
Treffen im Carligni-Stadion in Genua einen Tag vor der Großdemonstration, bei
deren gewaltsamen Auflösung Carlo Giuliani erschossen wurde. Den Angeklagten
wird folglich auch kein konkreter Tatvorwurf gemacht. Allein dass sie die
radikalen Demonstrationen in Genua mitvorbereitet hätten, haben sie sich nach
Ansicht des Staatsanwaltes schuldig gemacht.

Es ist zu vermuten, dass die Ermittlungen dazu dienten massiv Material
über radikale Bewegungen zusammenzutragen. So wurden mehrfach Festplatten
und Videobänder bei anderen Durchsuchungen während und nach dem G8
beschlagnahmt (wie beim Zugriff der Polizei auf Projekte des alternativen
Netzprojekts Autistici/Inventati 2004, bei dem alle Daten und Zertifikate, faktisch
also sämtliche Kommunikation von über 6000 NutzerInnen und 500 Mailinglisten
kopiert werden konnte). Im Rahmen der Razzia in der Diaz-Schule 2001 wurde auch
das benachbarte Media-Center durchsucht und Festplatten beschlagnahmt,
unter anderem vom Radio GAP. Einer der Angeklagten wird nun vorgehalten, sie
sei in Genua als Reporterin von Radio GAP unterwegs gewesen. GAP steht für
“Global Audio Project”, der Staatsanwalt jedoch erinnert sich, dass sich 1972
auch eine bewaffnete Gruppe “GAP” nannte – und schlußfolgert messerscharf wegen
des Kürzels umstürzlerische Absichten.

www.gipfelsoli.org/Home/Genua_2001/4836.html


 

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